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Eine gleichwertige Partnerin

Ein Interview mit Dagmar Hirtz

Den Weg zum Editor haben Sie ganz klassisch über das Praktikum im Kopierwerk und über Schnittassistenzen beschritten. Was hat Sie dazu bewogen, Schnittmeisterin zu werden?

Die Frage habe ich schon oft gehört, und weil ich aus dem Rheinland stamme und katholisch bin, habe ich manchmal geantwortet: Das war Berufung. Nein, in Wirklichkeit war ich wahnsinnig an Film interessiert, ohne in meiner Jugend damit so direkt in Berührung gekommen zu sein – in Aachen, wo ich herkomme, gab es natürlich keine Filmbranche damals. Als ich mich dann nach den Voraussetzungen für den Beruf des „Film Schnittmeisters“ erkundigt habe, sagten mir erfahrene Editoren, daß auf jeden Fall Musikalität, Rhythmusgefühl, auch ein Gespür für Menschen, für Darstellung wichtig seien. Das alles waren Eigenschaften, von denen ich dachte, ich würde sie besitzen.

Sie hatten ja auch zunächst begonnen, Musikwissenschaften zu studieren?

Ja, aber nur sehr kurz, weil ich relativ schnell festgestellt habe, daß es ein sehr theoretisches Studium ist. Um ganz praxisorientiert Musik zu studieren, dazu war ich letztlich nicht begabt genug.

Die Musikalität aber haben Sie als Editorin gut brauchen können...

Ja, unbedingt, das ist sehr wichtig. Das sehe ich auch heute noch, wenn ich nur „danebensitze“ und nicht mehr selber schneide. Mit der Editorin das selbe Gefühl für Rhythmus zu teilen, ist eine absolute Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.

Also hatten Sie mit dem Praktikum beim Kopierwerk begonnen...

Man hat ja damals konventionell geschnitten, das heißt man hatte den Film noch in der Hand und brauchte nicht die technischen Voraussetzungen zu beherrschen wie heute. Und wenn man nicht über eine Filmschule kam, die es zu der Zeit noch nicht gab, dann war ein möglicher Weg zum Filmschnitt übers Kopierwerk, um überhaupt zu verstehen, was mit dem belichteten Material eigentlich passiert. Für mich stellte sich zudem die Frage: Wo lerne ich Leute aus der Branche kennen? Das ist ja ein großes Problem, wenn man anfängt.

Hat es geklappt, haben Sie Ihre erste Assistenz darüber bekommen?

Im Grunde genommen schon. Ich hatte im Kopierwerk den Produzenten Horst Wendlandt kennengelernt und konnte ihn überzeugen, daß ich mich sehr für Film interessiere und unbedingt in den Schneideraum will. Jedenfalls ließ er mich eine Woche später von einem Aufnahmeleiter anrufen, und so konnte ich tatsächlich bald als zweite oder dritte Assistentin mitarbeiten. Der Editor war Carl Otto Bartning, ein älterer, ziemlich bekannter Schnittmeister, der große Filme geschnitten hatte. Und der ließ mich sogar manchmal ein bißchen zuschauen, aber im Prinzip habe ich zunächst Handlangertätigkeiten verrichtet. Trotzdem habe ich erstmals ein Gefühl bekommen für die Arbeit im Schneideraum und den Ablauf einer Produktion.

Glauben Sie, daß Sie in Ihrer Assistenzzeit essentielle handwerkliche Dinge gelernt haben?

Nein, denn ich war nur sehr kurze Zeit Assistentin. Dann hatte ich irrsinniges Glück und lernte einen sehr eigenwilligen Regisseur kennen, Rudolf Noelte, ein Theaterregisseur, der begann, Fernsehspiele zu inszenieren. Er fragte mich eines Tages, ob ich für ihn einen Film schneiden wolle, und ich sagte: „Aber Herr Noelte, ich kann das noch gar nicht, ich bin noch nicht soweit.“ „Ach, das können Sie schon“, gab er zurück. Gut, dachte ich, wenn er mir das zutraut, dann versuche ich das. Er war jemand, der strikt nach für ihn stimmenden Gesetzen inszenierte und auch entsprechend den Schnitt erwartete. Als ich nun meinen allerersten Rohschnitt eines Films fertig hatte, wollte ich den aber zunächst seinem Assistenten zeigen, das war Ulrich Schamoni. Also schaute sich Uli das an und lachte sich kaputt: „Wunderbar, Du hast es so richtig nach Deinem Gefühl geschnitten. Es ist viel zu schnell.“ Ich mußte also fast alle Klebestellen wieder aufmachen und die Schnitte verlängern, ich hatte das Prinzip von Noeltes Inszenierung nicht so richtig begriffen. Von da an lief es eigentlich recht gut, und ich war ehrgeizig genug, um mir alles selber beizubringen. Learning by Doing – das war ideal, auch weil ich mit Regisseuren wie Johannes Schaaf zu arbeiten begann, der zwar auch nicht so erfahren war, aber genauso neugierig wie ich.

Zuvor aber haben Sie ja noch drei Filme von Kurt Hoffmann geschnitten, einem sehr erfahrenen Vertreter der alten Kinoschule.

Stimmt, bei ihm habe ich auch sehr viel gelernt. Er war ebenfalls ein Regisseur, der lieber mit jemandem arbeitete, dem er sagen konnte, wie er sich den Schnitt vorstellt. An den arrivierten Editoren haben sich die Regisseure manchmal die Zähne ausgebissen, während ich jung und lernbegierig war und alles aufgesogen habe. Und dann kam plötzlich der Sprung vom Kino der alten Schule, Kurt Hoffmann, Heinz Rühmann, gleich mitten hinein in den Neuen Deutschen Film mit Johannes Schaaf, Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta etc. Es waren die Regisseure meiner Generation, und ihre Themen interessierten mich mehr.

Sehr früh, schon bei Kurt Hoffmanns „Dr. med. Hiob Prätorius“ 1964 und auch bei Johannes Schaafs „Tätowierung“ 1967, haben Sie neben dem Schnitt auch Regieassistenz gemacht. Wie kam das?

Das hat Kurt Hoffmann mir vorgeschlagen. Natürlich war ich kein erfahrener First AD, der den Set organisiert. Seine Idee war, eine persönliche Assistentin für den Regisseur, die den Schnitt immer im Hinterkopf hat und in diesem Sinne dem Regisseur bei der Auflösung etc. assistiert. Als solche habe ich auch später bei „Der Mädchenkrieg“ von Bernhard Sinkel und Alf Brustellin fungiert – um u.a. darauf zu achten, daß genügend Schnitt-Material gedreht wird, die Szenen richtig „gecovert“ werden etc.

Sie waren also eine Art Schnittberatung beim Dreh?

So könnte man es nennen.

Wie kam es dann im weiteren Verlauf dazu, daß Sie mit Maximilian Schell, Margarethe von Trotta oder Volker Schlöndorff arbeiteten – war es Ihre Arbeitsweise, die bei den Regisseuren ankam, vielleicht ein Stil, oder sind da doch eher persönliche Dinge ausschlaggebend?

Sicher hat das Schneiden eines Films viel mit Persönlichkeit zu tun, aber auch mit der Art und Weise, wie man miteinander auskommt und wie man gemeinsam an die kreativen Probleme herangeht. Es trägt sehr zu einem guten Resultat der Arbeit bei, wenn zwischen Regisseur und Editor – und auch zur Story des Films und dem gedrehten Material – eine gefühlsmäßig starke Beziehung besteht.

Wie sind Sie als Editorin an einen Film herangegangen?

Ab einem bestimmten Punkt in meiner Karriere habe ich stets beim ersten Gespräch mit dem Regisseur gesagt, daß ich eine erste Fassung des Films gern alleine schneiden möchte. Ihr könnt mir gerne Eure bevorzugten Takes nennen, aber ich will nicht ausmustern, sondern alle Kopierer behalten, weil ich hier und da vielleicht etwas entdecken kann, was – unvorhergesehen – den Schnitt bereichert. Das war mir immer wichtig, und es wurde eigentlich von allen akzeptiert.

Und wie halten Sie es heute aus der Sicht der Regisseurin?

Genauso, meine Erfahrung als Editor ist immer noch sehr lebendig. Ich habe als Regisseurin überhaupt nur mit zwei Editoren gearbeitet: zunächst mit Benjamin Hembus und dann mit Nicola Undritz, die sogar noch Assistentin bei mir war. Ich respektiere sie sehr, und ich weiß, wie wichtig es für sie ist, das Material des Films für sich zu verinnerlichen und eine erste Fassung zu montieren. Ich finde es auch richtig, nicht sofort in den Schnittprozeß einzusteigen – der kommt dann noch lang genug – sondern mich nach einer Pause einfach hinzusetzen und diese erste zusammenhängende Fassung so unvoreingenommen wie möglich auf mich wirken zu lassen.

Die obligatorische Frage: Warum schneiden Sie Ihre Filme nicht mehr selbst?

Ganz einfach, weil man zu nah dran ist. Man braucht dringend jemanden, der von außen dazukommt, der mit einem frischeren Blick, mit einer anderen Art von Kritik, eventuell auch mit einem etwas anderen Geschmack das Material beurteilt. Gerade darin ist Nicola Undritz sehr gut, sie ist streng, aber auch begeisterungsfähig und kritisch was z B. die Schauspieler anbelangt. Man selber ist da ja aus den Zusammenhängen noch nicht raus und denkt womöglich an die Umstände des Drehs usw. Und da ist es einfach wichtig, einen gleichwertigen Partner an der Seite zu haben.

Wie kam es überhaupt zum Seitenwechsel, also dazu, Bilder zu produzieren, anstatt sie in einen Sinnzusammenhang zu stellen?

Es war vor allem der Wunsch, einfach mehr Verantwortung zu haben und mehr Risiko eingehen zu müssen. Der Editor ist nicht am eigentlichen Prozeß der Bildentstehung beteiligt. Er ist ein, nennen wir es mal: „Nachkreierer“. Aber dieses Sich-Aussetzen einem Team gegenüber, das Sich-Behaupten, das Umgehen mit Schauspielern – all diese Herausforderungen habe ich gesucht. Dadurch, daß man sich beim Schneiden so differenziert mit der Inszenierung auseinandersetzt, fühlte ich mich angeregt: Könnte ich das auch? Und es ging mir nicht allein um das Geschichtenerzählen und das Kreieren der Bilder, sondern wirklich um das Gesamte. Von der Stoffentwicklung über Drehvorbereitungen bis hin zum Schnitt: Diesen gesamten Apparat muß man als Regisseur, bestenfalls mit einer Vision behaftet, beherrschen. Das hat mich gereizt.

Bei der Menge an Schnitterfahrung haben Sie doch sicher – verglichen mit anderen Regiedebütanten – in der Inszenierung auch eine Menge Fehler vermeiden können?

Ganz sicher. Man hat einen unglaublichen Vorteil durch die Erfahrung des Schneidens. Wenn ich Auflösungen mache, muß ich gar nicht mehr groß überlegen, damit am Ende alles gut zusammenpaßt.

Sie schreiben, Sie inszenieren, Sie produzieren, Sie betreiben nebenbei mit dem Münchner Arri-Kino ein Programmkino – ausgehend vom Schneideraum haben Sie in fast allen Aspekten des Films gewirkt.

In der Zeit, in der ich geschnitten habe, war die Aufgabe nicht ausschließlich auf den Bildschnitt limitiert. Heute, nur wenn ich Glück habe und die Produktion ist einigermaßen großzügig, ist meine Editorin auch bei der Mischung dabei, was mir sehr wichtig ist, weil sie mein wichtigster Partner ist, und die Tonmischung auch ein Teil ihrer Arbeit ist. Zu meiner Zeit war ich bei der gesamten Postproduktion dabei, Geräuschaufnahmen, Musikaufnahmen, Ton- und Musikbearbeitung usw. Ich konnte sogar mit in die Lichtbestimmung gehen. Man hat einfach alles mitbekommen. Ich könnte mir vorstellen, daß eine junge Editorengeneration von all dem überhaupt keine Ahnung mehr hat. Sicher sind sie deswegen nicht weniger begabt, aber die Bandbreite, in der ich Film erfahren habe, hat mein Interesse und mein Engagement enorm gefördert.